MORGANE FERRU in „SENSOR“ an der Deutschen Oper Berlin
Es beginnt mit einem Unfall. Etwas stürzt ein, es kommt zum totalen Zusammenbruch der bürgerlichen Existenz, aber auch des Erinnern-Könnens, des Bewusstseins um die eigene Identität. Es ist ein Schnitt durch das Sein, der für die drei Figuren in Albert Ostermaiers Text zum Ausgangspunkt wird für den Versuch, aus den Fragmenten und Splittern ihrer zerstobenen Erinnerungen ihr bisheriges Leben zu rekonstruieren. Und die sich damit aufmachen, das Netz von Beziehungen zu rekonstruieren, das sie scheinbar miteinander verbindet, herauszufinden, was sie gemeinsam erlebt haben.
Ostermaiers Text lässt das Publikum an dieser Wiederentdeckung teilhaben, indem er es zusammen mit den drei Figuren allmählich ein Mosaik aus Bildern und Erinnerungsfetzen zusammensetzen lässt, das aber nicht zu einer vollständigen Konstruktion der Ereignisse führt, sondern letztlich Fragen offen lässt. Haben die drei Figuren wirklich dasselbe erlebt? Ist es eine Geschichte oder sind es mehrere, die auf verschiedenen Ebenen parallel erzählt werden? Und sind die erinnerten Geschehnisse wirklich real oder sind es Phantasmagorien, die aber auf ein bis in mythische Vorzeit zurückreichendes kulturelles Gedächtnis rekurrieren?
Geschrieben wurde der Text für den deutsch-niederländischen Komponisten Konrad Boehmer, mit dem Ostermaier ab Ende der 90er Jahre mehrere gemeinsame Projekte realisiert hatte. So entstand vor SENSOR bereits der Text für Boehmers „Orpheus Unplugged“ für Klavier und Zuspiel, das ebenso wie Sensor Elemente des Orpheus-Mythos aufgreift, diese jedoch in einer übermalten und um zahlreiche weitere Bedeutungsebenen angereicherten Form verarbeitet. Sensor ist geschrieben für vier Musiker – Klavier, Klarinette, zwei Schlagzeuger – ein elektronisches Zuspiel und drei Schauspieler. Das Stück wurde 2007 fertig gestellt, erlebt aber erst jetzt, posthum nach Boehmers Tod im Herbst 2014, seine Uraufführung. Es ist ein Stück, das von einer Kraft des Aufruhrs, von scharfen Kontrasten und einer pointiert zugespitzten Zeichnung von Gefühlslagen, Zeit- und Energieverläufen geprägt ist. Diese verbinden sich auf den verschiedenen musikalischen Ebenen mal zu einem Kino für die Ohren, mal zu hochexpressiver Dramatik, oft aber auch zu intimen, kammermusikalischen Momenten, in denen die Sprache des Lyriker Ostermaiers ihre ganze Kraft entfalten kann.
Sensor – Elektrisches Musiktheater von Konrad Boehmer und Albert Ostermaier feiert Uraufführung in der Tischlerei der Deutschen Oper Berlin – am 23. Januar 2016
mit: Morgane Ferru, Ruth Macke, Stephan Baumecker Stay
Musikalische Leitung: Manuel Nawri
Inszenierung: Verena Stoiber
Bühne, Kostüm: Sophia Schneider
Vorstellungen:
26. – 29.1.2016 – täglich um 20:00 Uhr